Bevor wir uns näher mit der „Neuhauser Bockerlbahn“ beschäftigen,
sollte man sich einige historische Daten in Erinnerung rufen. Im
Oktober 1918 neigt sich der 1. Weltkrieg seinem Ende zu. Die militärischen
Reserven Deutschlands sind erschöpft und an allen Fronten zeigen
sich Auflösungserscheinungen. Die Versorgungslage der heimischen
Zivilbevölkerung ist auf dem schlechtesten Stand seit Ausbruch des
Krieges. Vor allem in Bayern hatte man darunter zu leiden. Ein Großteil
der Lebensmittelversorgung für die kämpfende Truppe wurde während
der Kriegsjahre hier erbracht. Um ausreichend Brot herstellen
zu können, wird das Getreide mit Eichel- oder Kastanienmehl gestreckt.
Das fertige Brot ist dadurch fast ungenießbar. Fleisch und Fett
sind von den Speisezetteln fast gänzlich verschwunden. Auch die
ländliche Bevölkerung und die Bauern sind von diesem Mangel an Nahrungsmitteln
nicht ausgenommen. Politische Streiks häufen sich, die konservativen
Parteien geraten immer mehr in die Defensive, SPD und USPD verzeichnen
einen gewaltigen Anstieg ihrer Popularität, die anti-monarchistische
Stimmung greift immer stärker um sich. In Geheimverhandlungen zwischen
Wittelsbachern und der SPD wird seit längerem über eine Umwandlung
Bayerns in eine repräsentative Monarchie verhandelt. Ziel war dabei
die Stärkung des Parlaments und die Einschränkung von Vorrechten
für Adel und Klerus. König Ludwig III. (im Volksmund der „Millebauer“
genannt) verschloß sich jedoch diesen Bestrebungen. Am 05. November;
anlässlich einer Großkundgebung auf der Münchner Theresienwiese,
bei der SPD und USPD vor mehr als 120.000 Menschen, die sofortige
Beendigung des Krieges forderten, kocht die Volksseele über. Im
Anschluss an die Kundgebung marschierte unter der Führung von Kurt
Eisner (USPD) und Ludwig Gandorfer (Bauernbund) eine gewaltige Menschenmenge
zum Landtagsgebäude. Nach der Besetzung des Sitzungssaals wurde
eine mehrstündige Diskussion über die politische Zukunft Bayerns
geführt. Als Ergebnis rief Kurt Eisner am 06. November um 0:30 Uhr
die Republik aus und erklärte den König für abgesetzt. Am 09.
November kapitulierte das Deutsche Reich bedingungslos. Der 1. Weltkrieg
ist beendet. Hunger und Arbeitslosigkeit erwartet die geschlagenen
Heimkehrer. Die Kriegsgüterindustrie ist zerschlagen und die Konsumgüterindustrie
kommt nur sehr schleppend in Gang. Kriegsgewinnler wie Quandt, Flick,
Maffei und andere hatten in Erwartung der Deutschen Niederlage
über Monate hinweg riesige Bargeldreserven aufgebaut. Mit diesem
Geld wurden nun die lukrativsten Objekte der zerschlagenen Industrie
billigst aufgekauft. Es entstanden uns allen bekannte Industrieimperien
von einer bis dahin nicht gekannten Größe. Der Mittelstand, die
Arbeiter und Bauern hatten dafür die Zeche zu zahlen. Um der
Wirtschaft eine gewisse Belebung zu verschaffen gingen die Kommunen
dazu über Notgeld auszugeben. Durch die mangelnde Akzeptanz des
Geldes in der Bevölkerung verpuffte diese Maßnahme allerdings fast
gänzlich.
Und nun kam der Winter ohne ausreichende Vorräte an Lebensmitteln
und Brennstoffen.
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