Kursbuchstrecke 955 Schliersee - Bayrischzell  (Bilder zum Vergrößern anklicken)


Bahnhof Schliersee um 1900Hundert Jahre sind nun vergangen, seit eine Petition mit ausgearbeitetem Plan, eingereicht am 15. Oktober 1903, die Weiterführung der Bahn von Schliersee (Bahnanschluss seit August 1869) nach Bayrischzell als staatliche Voll- oder Lokalbahn forderte. Da zu dieser Zeit allerdings mehrere Streckenvarianten für den Anschluß von Bayrischzell an das Eisenbahnnetz diskutiert wurden (Westerham - durch das Leitzachtal - Bayrischzell; Miesbach - Leitzach - Fischbachau - Bayrischzell; Gmund - Hausham - Bayrischzell), dauerte es einige Jahre bis sich die Streckenführung die uns heute bekannt ist durchsetzte.
Gleisbautrupp 1912 in BayrischzellIm Mai 1910, nach Klärung aller rechtlichen Belange und der finanziellen Absicherung des Projektes begannen die Bauarbeiten. Mit Pickel und Schaufel, ohne Einsatz von Maschinen oder mechanischen Geräten, für heutige Verhältnisse unvorstellbar, machte man sich an die Arbeit. Der Materialtransport erfolgte auf Loren. Bahnhöfe, an den vorherrschenden oberbayerischen Stil angelehnt,  entstanden in Fischhausen-Neuhaus, Fischbachau und Bayrischzell, der neue Endbahnhof. Haltepunkte wurden in Glashütte, Geitau und Osterhofen eingerichtet. In Geitau wurde zudem ein "Agent" für den Fahrkartenverkauf angestellt. In späteren Jahren wurden Fahrkarten im Gasthof "Rote Wand" verkauft.
Einladung zur Eröffnung 1911Am 14. August 1911 wurde der erste Streckenabschnitt bis Fischbachau (km 9,6) in Betrieb genommen und am 01. Oktober des gleichen Jahres konnte die Gesamtstrecke bis Bayrischzell (km 16,6) feierlich eröffnet werden. Die anfänglich unter der Bayerischen Staatsbahn geführte Linie wurde Ende 1919 in die Deutsche Reichsbahn eingegliedert.

Die anfänglichen Bedenken der Schlierseer, die Touristen könnten nach Eröffnung der Strecke an Schliersee vorbeifahren erwiesen sich als unbegründet. Vielmehr ergänzten sich Schliersee und  Wendelstein zu touristischen Anziehungspunkten, so dass die Zahl der verkehrenden Züge ständig erhöht wurde. Einen gewaltigen Ansturm an Fahrgästen brachte in den Wintermonaten der aufkommende Skisport. Wie aus Aufzeichnungen von Reichsbahninspektor Jakob Haider, Leiter der Bahnhöfe Schliersee und Fischhausen-Neuhaus hervorgeht, verkehrten in den sonntäglichen Nachmittag- und Abendstunden bis zu zwölf Züge um die Wintersportler zurück nach München zu bringen.
Skifahrer am Bahnhof Fischhausen-NeuhausIn den Jahren 1925 bis 1930 versuchte man mit mehreren Anträgen an die Deutsche Reichsbahn eine Elektrifizierung der Strecke zu erwirken. Diese wurden jedoch allesamt negativ beschieden.
Bis Anfang der Achziger Jahre verkehrten im Winter die legendären Sport-Scheck-Züge. Mit bis zu 5 Zügen pro Tag wurden Skifahrer nach Schliersee, Fischhausen-Neuhaus und Bayrischzell befördert. In den Nachkriegsjahren entwickelte sich der Fernreiseverkehr prächtig.
Ankunft eines Sonderzuges mit Urlaubern im Juni 1969Die Reiseveranstalter Scharnow und Touropa brachten viele Gäste aus den Großstädten Hamburg und Dortmund nach Bayern. Im Sommer fuhr einmal wöchentlich der "TOUROPA", Urlauber aus dem Ruhrgebiet wurden damit direkt in die Urlaubsregion an Schliersee und Wendelstein gebracht. Zahlreiche Sonderzüge brachten zudem Tagestouristen in die Region.

Letzte Abfuhr eines Güterwagens im März 1989Der zunehmende Individualverkehr und der dramatische Rückgang des Wagenladungsverkehrs (der letzte Güterwagen wurde im März 1989 abgefahren, seitdem dient die Strecke ausschließlich dem Personenverkehr) und Gütertransport gingen nicht spurlos an der landschaftlich reizvollen Bahnstrecke nach Bayrischzell vorbei. Seit den Siebziger Jahren wird über eine Stilllegung der Strecke diskutiert.
Der Bahnhof Schliersee 1960Der Rückbau von Anlagen und die Schließung von Bahnhöfen (Fischbachau, Fischhausen-Neuhaus und Schliersee) sind für Bahnkunden zwar ein enormer Serviceverlust, dienen andererseits allerdings zur Kostenminimierung und damit dem Erhalt der Strecke. Es zeigen sich mittlerweile aber auch negative Auswirkungen des radikalen Rückbaus. Fehlende Kreuzungsmöglichkeiten usw. behindern manchmal den Betriebsablauf und eine Durchführung von Sonderfahrten ist ohne den Ausfall von Regelzügen nicht mehr realisierbar.
Einen neuen Aufschwung, zusammen mit allen anderen Strecken im Oberland, erhielt die Bahn mit Übernahme der Betriebsführung durch die Bayerische Oberlandbahn (BOB) am 01. November 1998.
Integral in Bayrischzell Winter 2003Mit innovativen Fahrzeugen (Integral), einem durchdachten Fahrplankonzept (Flügelzüge) und der Einführung des Stundentaktes hat es die BOB geschafft den Strecken neues Leben einzuhauchen. Anfängliche große Probleme mit dem neu entwickeltem Fahrzeug, dass zeitweise sogar aus dem Verkehr genommen werden mußte, sind mittlerweile behoben. Auch die Wintertauglichkeit konnte der Integral wie auf dem Bild zu ersehen ist inzwischen beweisen.
Die Fahrgastzahlen sind seit der Übernahme durch die BOB sprunghaft angestiegen, von 2,5 Mio/Jahr auf mehr als 10 Mio/Jahr (Gesamtbereich der BOB). An schönen Wochenenden nutzen wieder Tausende die Möglichkeit das Bayerische Oberland mit der Bahn zu bereisen, teilweise treten dabei sogar Kapazitätsprobleme auf.
Es bleibt zu hoffen, das auch die Deutsche Bahn, in deren Besitz nach wie vor die Infrastruktur (Gleise usw.) ist, ihren Verpflichtungen nachkommt, die Strecke in betriebsfähigem Zustand zu erhalten.
Natürlich werden auch von dieser Strecke in Eisenbahner-Kreisen kleine und größere Geschichten erzählt. So soll es in den Fünfziger Jahren öfters vorgekommen sein, dass nach Ankunft des letzten Zuges in Bayrischzell die Dampflok anstelle in den Lokschuppen zu fahren sich nochmal auf den Weg nach Schliersee machte. Dort wurde die Maschine abgestellt und Lokführer und Heizer machten sich auf um in der Bahnhofswirtschaft einen zünftigen Schafkopf zu klopfen. Rechtzeitig zum Frühzug begab man sich dann wieder auf den Weg nach Bayrischzell. In Fischhausen-Neuhaus wurde hin und wieder ein Fahrdienstleiter gesichtet, der die Schranken für den ersten Zug mit roter Dienstmütze und gestreiften Schlafanzug bediente. Der Mitarbeiter verfügte über einen gesegneten Schlaf und wurde von Fahrgästen kurz vor Ankunft des Frühzuges aus dem Übernachtungsraum geklopft. Für eine korrekte Dienstkleidung blieb dabei manchmal keine Zeit. Es wird auch von einem Lokführer berichtet, der kurzerhand zur Selbstjustiz griff. Ein Pkw-Fahrer war beim Bahnübergang kurz vor dem Cafe Krugalm ganz knapp vor dem herannahenden Zug noch über die Gleise gefahren. Der Lokführer beobachtete, dass der Mann bei besagtem Cafe anhielt. Kurzerhand stoppte er den Zug, stieg von seiner Maschine herab, rannte über die Wiese und verpasste dem verdutzen Autofahrer eine schallende Ohrfeige. Bemerkenswert ist noch, dass der Zug trotz des Aufenthalts zwei Minuten vor der planmäßigen Ankunftszeit in Bayrischzell eintraf.
Für den Wahrheitsgehalt dieser Geschichten übernehme ich allerdings keine Garantie.