Hundert
Jahre sind nun vergangen, seit eine Petition mit ausgearbeitetem
Plan, eingereicht am 15. Oktober 1903, die Weiterführung der
Bahn von Schliersee (Bahnanschluss seit August 1869) nach Bayrischzell
als staatliche Voll- oder Lokalbahn forderte. Da zu dieser Zeit
allerdings mehrere Streckenvarianten für den Anschluß von Bayrischzell
an das Eisenbahnnetz diskutiert wurden (Westerham - durch das
Leitzachtal - Bayrischzell; Miesbach - Leitzach - Fischbachau
- Bayrischzell; Gmund - Hausham - Bayrischzell), dauerte es
einige Jahre bis sich die Streckenführung die uns heute bekannt
ist durchsetzte. Im Mai 1910, nach Klärung aller rechtlichen
Belange und der finanziellen Absicherung des Projektes begannen
die Bauarbeiten. Mit Pickel und Schaufel, ohne Einsatz von Maschinen
oder mechanischen Geräten, für heutige Verhältnisse unvorstellbar,
machte man sich an die Arbeit. Der Materialtransport erfolgte
auf Loren. Bahnhöfe, an den vorherrschenden oberbayerischen
Stil angelehnt, entstanden in Fischhausen-Neuhaus, Fischbachau
und Bayrischzell, der neue Endbahnhof. Haltepunkte wurden
in Glashütte, Geitau und Osterhofen eingerichtet. In Geitau
wurde zudem ein "Agent" für den Fahrkartenverkauf
angestellt. In späteren Jahren wurden Fahrkarten im Gasthof
"Rote Wand" verkauft. Am 14. August 1911 wurde
der erste Streckenabschnitt bis Fischbachau (km 9,6) in Betrieb
genommen und am 01. Oktober des gleichen Jahres konnte die Gesamtstrecke
bis Bayrischzell (km 16,6) feierlich eröffnet werden. Die anfänglich
unter der Bayerischen Staatsbahn geführte Linie wurde Ende 1919
in die Deutsche Reichsbahn eingegliedert.
Die anfänglichen
Bedenken der Schlierseer, die Touristen könnten nach Eröffnung
der Strecke an Schliersee vorbeifahren erwiesen sich als unbegründet.
Vielmehr ergänzten sich Schliersee und Wendelstein zu
touristischen Anziehungspunkten, so dass die Zahl der verkehrenden
Züge ständig erhöht wurde. Einen gewaltigen Ansturm an Fahrgästen
brachte in den Wintermonaten der aufkommende Skisport. Wie aus
Aufzeichnungen von Reichsbahninspektor Jakob Haider, Leiter
der Bahnhöfe Schliersee und Fischhausen-Neuhaus hervorgeht, verkehrten in den sonntäglichen
Nachmittag- und Abendstunden bis zu zwölf Züge um die Wintersportler
zurück nach München zu bringen. In den Jahren 1925 bis 1930
versuchte man mit mehreren Anträgen an die Deutsche Reichsbahn
eine Elektrifizierung der Strecke zu erwirken. Diese wurden
jedoch allesamt negativ beschieden. Bis Anfang der Achziger
Jahre verkehrten im Winter die legendären Sport-Scheck-Züge.
Mit bis zu 5 Zügen pro Tag wurden Skifahrer nach Schliersee,
Fischhausen-Neuhaus und Bayrischzell befördert. In den Nachkriegsjahren
entwickelte sich der Fernreiseverkehr prächtig. Die Reiseveranstalter
Scharnow und Touropa brachten viele Gäste aus den Großstädten
Hamburg und Dortmund nach Bayern. Im Sommer fuhr einmal wöchentlich
der "TOUROPA", Urlauber aus dem Ruhrgebiet wurden
damit direkt in die Urlaubsregion an Schliersee und Wendelstein
gebracht. Zahlreiche Sonderzüge brachten zudem Tagestouristen
in die Region.
Der zunehmende Individualverkehr und der dramatische
Rückgang des Wagenladungsverkehrs (der letzte Güterwagen wurde
im März 1989 abgefahren, seitdem dient die Strecke ausschließlich
dem Personenverkehr) und Gütertransport gingen
nicht spurlos an der landschaftlich reizvollen Bahnstrecke nach
Bayrischzell vorbei. Seit den Siebziger Jahren wird über eine
Stilllegung der Strecke diskutiert. Der Rückbau von Anlagen
und die Schließung von Bahnhöfen (Fischbachau, Fischhausen-Neuhaus
und Schliersee) sind für Bahnkunden zwar ein enormer Serviceverlust,
dienen andererseits allerdings zur Kostenminimierung und damit
dem Erhalt der Strecke. Es zeigen sich mittlerweile aber auch
negative Auswirkungen des radikalen Rückbaus. Fehlende Kreuzungsmöglichkeiten
usw. behindern manchmal den Betriebsablauf und eine Durchführung
von Sonderfahrten ist ohne den Ausfall von Regelzügen nicht
mehr realisierbar. Einen neuen Aufschwung, zusammen
mit allen anderen Strecken im Oberland, erhielt die Bahn mit
Übernahme der Betriebsführung durch die Bayerische Oberlandbahn
(BOB) am 01. November 1998. Mit innovativen Fahrzeugen (Integral),
einem durchdachten Fahrplankonzept (Flügelzüge) und der Einführung
des Stundentaktes hat es die BOB geschafft den Strecken neues
Leben einzuhauchen. Anfängliche große Probleme mit dem neu entwickeltem
Fahrzeug, dass zeitweise sogar aus dem Verkehr genommen werden
mußte, sind mittlerweile behoben. Auch die Wintertauglichkeit
konnte der Integral wie auf dem Bild zu ersehen ist inzwischen
beweisen. Die Fahrgastzahlen sind seit der Übernahme durch
die BOB sprunghaft
angestiegen, von 2,5 Mio/Jahr auf mehr als 10 Mio/Jahr (Gesamtbereich
der BOB). An schönen Wochenenden nutzen wieder Tausende die
Möglichkeit das Bayerische Oberland mit der Bahn zu bereisen,
teilweise treten dabei sogar Kapazitätsprobleme auf. Es
bleibt zu hoffen, das auch die Deutsche Bahn, in deren Besitz
nach wie vor die Infrastruktur (Gleise usw.) ist, ihren Verpflichtungen
nachkommt, die Strecke in betriebsfähigem Zustand zu erhalten. Natürlich
werden auch von dieser Strecke in Eisenbahner-Kreisen kleine
und größere Geschichten erzählt. So soll es in den Fünfziger
Jahren öfters vorgekommen sein, dass nach Ankunft des letzten
Zuges in Bayrischzell die Dampflok anstelle in den Lokschuppen
zu fahren sich nochmal auf den Weg nach Schliersee machte. Dort
wurde die Maschine abgestellt und Lokführer und Heizer machten
sich auf um in der Bahnhofswirtschaft einen zünftigen Schafkopf
zu klopfen. Rechtzeitig zum Frühzug begab man sich dann wieder
auf den Weg nach Bayrischzell. In Fischhausen-Neuhaus wurde
hin und wieder ein Fahrdienstleiter gesichtet, der die Schranken
für den ersten Zug mit roter Dienstmütze und gestreiften Schlafanzug
bediente. Der Mitarbeiter verfügte über einen gesegneten Schlaf
und wurde von Fahrgästen kurz vor Ankunft des Frühzuges aus
dem Übernachtungsraum geklopft. Für eine korrekte Dienstkleidung
blieb dabei manchmal keine Zeit. Es wird auch von einem Lokführer
berichtet, der kurzerhand zur Selbstjustiz griff. Ein Pkw-Fahrer
war beim Bahnübergang kurz vor dem Cafe Krugalm ganz knapp
vor dem herannahenden Zug noch über die Gleise gefahren. Der
Lokführer beobachtete, dass der Mann bei besagtem Cafe anhielt.
Kurzerhand stoppte er den Zug, stieg von seiner Maschine herab,
rannte über die Wiese und verpasste dem verdutzen Autofahrer
eine schallende Ohrfeige. Bemerkenswert ist noch, dass
der Zug trotz des Aufenthalts zwei Minuten vor der planmäßigen
Ankunftszeit in Bayrischzell eintraf. Für den Wahrheitsgehalt
dieser Geschichten übernehme ich allerdings keine Garantie.
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